Die FAZ über 400 Mal "Wer kocht, schießt nicht"
Der Mann mit dem Hühnerbein – Ilja Kamphues spielt zum 400. Mal Michael Herls Kochsatire im Stalburg Theater
Eva-Maria Magel, Freitag, 7. Oktober 2011Wenn er bei Freunden zum gemeinsamen Kochen eingeladen ist, kann Ilja Kamphues mächtig Eindruck schinden. Wohl niemand schneidet so schnell Lauch in feine Ringe, schnippelt Karotten und kann sogar ein Hühnerbein entbeinen. Damit allerdings haben sich die Kenntnisse von Kamphues auch schon erschöpft.
"Eher nicht so der Hobbykoch", umschreibt Ilja Kamphues vorsichtig sein Talent für die Haute Cuisine. Auch nach neun Jahren und Hunderten knochenfreier Hühnerbeine hat sich daran nichts geändert. Bis auf ein Rezept, das er "im Schlaf" beherrscht, wiewohl er an seinem Arbeitsplatz nicht schläft: auf der Bühne des Frankfurter Stalburg Theaters, in den zweimal 45 Minuten plus Pause, die sein Solostück "Wer kocht, schießt nicht" dauert. Ist die letzte Pointe verklungen, ist sie fertig, die gefüllte "Hühnerkeule à la Dr. Kögel", in Weißweinsauce mit selbstgemachten Fettuccine.
Michael Herl, der künstlerische Leiter des von ihm gegründeten "Theaterchens", hat das Stück vor knapp zehn Jahren verfasst, aus dem Journalisten und "HR Late Lounge"-Comoderator ist mittlerweile mit sechs Stücken ein Vollzeit-Theaterautor geworden. "Ich wusste, wir brauchen etwas, das gut läuft", sagt Herl, "und Sex und Essen interessiert die Leute immer." Dass es so gut laufen würde, konnte er nicht absehen: "Wer kocht, schießt nicht" ist mit 35 000 Zuschauern allein in der Stalburg das mit Abstand erfolgreichste Stück - es wurde auf 50 Gastspielen gezeigt und wird auf Bühnen in Bremen, Dresden und am Deutschen Theater in Göttingen gespielt, das mit seiner eher ernsten Fassung am 2. Mai nächsten Jahres in Aschaffenburg gastiert. Ursprünglich hatte Herl die Figur des Kögel für einen älteren Schauspieler geschrieben: "Der sagte, es sei unspielbar", erinnert sich Herl. Ein folgenreicher Irrtum.
Dass Ilja Kamphues die Rolle bekam, sei "fast magisch" gewesen, erinnert sich der gebürtige Rüsselsheimer. Nach dem Abitur hat Kamphues in Mainz, wo er bis heute wohnt, kurz in ein Studium geschnuppert, aber schon früh als Schauspieler bei freien Theatern und vor allem, mit fünf Soloprogrammen, als Kabarettist gearbeitet, gefördert unter anderen vom langjährigen Prinzipal des Mainzer unterhauses, Ce-eff Krüger. "Damals sagte ich, dass ich gerne mal wieder Theater spielen würde, um etwas Neues zu lernen", erinnert sich Kamphues. Eine Woche später rief der Stalburg-Hausregisseur Manfred Roth bei ihm an, um ihm die Rolle anzutragen: Kögel, den Mann, der aus einer Gastwirtsfamilie kommt, sich mit Chemie auskennt und deshalb vom Arbeitsamt dazu verdonnert wird, Fertigprodukte der Marke "Schnell und Lecker" zu verscherbeln.
Seither redet Kamphues sich in Herls Satire über Politik, Gesellschaft und die Verbrechen moderner Nahrungsaufnahme in Rage und kocht, während er vor Wut kocht, auch auf der Bühne - ohne Fertigfraß. Den hat er auch privat zu meiden gelernt, allerdings isst er auch kein Geflügel mehr, seit er "beruflich mit Hühnern zu tun" hat. "Besonders viele Ernährungsberater" hätten sich das Stück angesehen, sagt Herl, der einst auch Restaurantkritiker war, als Student in etlichen Gastwirtschaften gekocht hat und auch später, zu Auffrischungszwecken, ab und an eine Schicht im Restaurant des alten Frankfurter Literaturhauses einlegte. Das Gericht hat er extra für sein Stück ersonnen und seinen Schauspieler gnadenlos mit 60 Hühnerbeinen trainiert bis zur Bühnenreife: Auf jeden Handgriff muss sekundengenau eine Pointe des Stücks passen, es muss ausreichend beeindruckende Techniken geben und wenn Lauch und Huhn auf der Bühne gedünstet werden, breitet sich rasch ein appetitlicher Geruch im Saal aus.
Seit dem 26. September 2002 hat Kamphues den Theo Kögel gespielt und am Ende in das Publikum gefragt, wer denn zum Probieren auf die Bühne kommen möchte. Heute Abend wird er es zum 400. Mal tun. Gegen Verschleißerscheinungen helfe die Konzentration, außerdem sei es, sagt Kamphues, für einen freien Schauspieler sehr schön, eine so regelmäßige Verpflichtung zu haben. Die "nächsten 30, 40 Jahre" könne er das weitermachen, albert er - allerdings hat er auch noch andere Engagements.
Als Kabarettist arbeitet er derzeit nicht mehr, neben seiner Tätigkeit als Theaterpädagoge ist er unter anderem am Frankfurter Autoren Theater tätig und hat auch in anderen Herl-Stücken gespielt. Der Hausautor der Stalburg sitzt derzeit an einem Auftragsstück, das Ende Februar in Dresden uraufgeführt werden soll. Dann erst ist wieder das eigene "Theaterchen" dran: Was Herl für 2013 schreiben wird, weiß er nicht - vielleicht das nächste Erfolgsstück.