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Die Frankfurter Rundschau über "Die Baronin und die Sau"

Die Sau im Menschen

Marie-Sophie Adeoso, Montag, 10. Januar 2010

Es ist nicht einfach, eine Sau zu zähmen, das ist der Baronin wohl bewusst. Und doch - das ist von Anfang an klar - wird die adelige Dame am Ende den Menschen entdeckt haben in dem verwilderten Wesen, das sie im Schweinestall fand, und - das ist ebenfalls klar - sich dabei selbst enorm verändert haben. Man kann es auch einfach eine menschliche Beziehung nennen, die sich da langsam aufbaut auf der Bühne des Stalburg Theaters und die umso wahrscheinlicher wird, je unwahrscheinlicher sie in ihrem absurden Beginn erscheint.

Michael Mackenzies Stück "Die Baronin und die Sau" ist zunächst eine seltsame Kaspar-Hauser-Geschichte. Da findet eine Baronin im mausgrau-steifen Kostüm (Jule Richter) ein Mädchen, das offenbar von Tieren großgezogen wurde (Uta Köbernick). Sie beschließt, die Zottelige zu ihrem Dienstmädchen zu machen, will ihr damenhaftes Knicksen beibringen und sie das Silberbesteck sortieren lassen. Um dann eines Tages ihren Gästen die Geschichte erzählen zu können, "von der Zähmung des wilden Tieres".

Das "Tier", das sie Emilie nennt, muss sich dafür erstmal seiner dreckigen Stiefel entledigen - nur unter Bellen, Knurren, Kratzen, Beißen! - und wird dann nach und nach die fellartigen Wollstulpen ablegen und sich das Haar bändigen.

Die wahre Transformation jedoch vollzieht sich an der Baronin, die nach ein paar Gläschen Wein plötzlich zu singen und tanzen vermag, neben den Tagebüchern ihrer Jugend auch ihr Herz wiederentdeckt, es freundschaftlich an die Sau verschenkt und sich mit dieser gemeinsam ihres ungeliebten Gatten entledigt.

So weit, so dramaturgisch vorhersehbar. Wie sich aber die Verwandlung vollzieht, das ist durchaus unterhaltsam anzusehen. Da quakt und knurrt und muht sich Emilie durch den Kanon der Tierlaute - und zeigt dann doch Verstand und Witz im Erlernen der menschlichen Sprache samt ihrer relevantesten Begriffe ("Salatgabel. Tafelgabel. Dessertgabel", und vor allem: "Heuchler"). Die Baronin spiegelt sich indes lächelnd in den Metallrahmen des Bühnenbilds, die schief hängen, wenn es schiefläuft. In ihren Anweisungen aber tun sich Abgründe auf ("Friss den Brief! Du bist doch ein Tier.").

Leider verschenkt die Inszenierung von Katja Lehmann ihren Höhepunkt bereits vor der Pause und holt ihn danach nicht mehr ganz ein. Die großartige Szene, in der Emilie den Gäste-Empfang in einer kuriosen Knicks-Silbertablett-Choreografie einüben muss, gibt das humoristische Tempo des Stückes vor. Die Lacher branden im Anschluss stets dort auf, wo die Schauspielerinnen die Szene zitieren. Dazwischen aber, wenn man sich an den Tiergeräuschen der Sau sattgehört, an dem manirierten und zunehmend aus der Fassung geratenen Gehabe der Baronin sattgesehen hat, gibt es wenig Neues zu entdecken.

So bleibt es bei der Erkenntnis, dass auch in der größten Sau ein Mensch steckt, der sich im Silbertablett spiegelt. Und vice versa natürlich erst recht.

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