Logo Stalburg Theater

Die Frankfurter Rundschau über "Der Herr Karl"

Qualtinger in der Stalburg – Abgeklärte Dinge

Christoph Schröder, Freitag, 20. November 2009

Dick ist er, massig, die angefetteten Haare sind zurückgekämmt; hin und wieder fährt er sich mit den Händen über den Kopf und wischt sie dann an seinem speckigen T-Shirt ab. So sitzt er auf einer Kiste unter der Hängelampe und redet in schönstem Wiener Schmäh zu seinem Publikum. Der Herr Karl, Hilfskraft in einem Lebensmittelgeschäft; ein Kleinbürger, einer, der immer und überall mitgelaufen ist ("Man hat sich nicht entscheiden können, wo man sich hinwendet") und es letztendlich zu nichts gebracht hat. Oder doch? "Die Dinge sind mir gegenüber abgeklärt", sagt er. Das ist etwas, was nicht jeder von sich behaupten kann.

Der grantelnde Herr Karl könnte einem Stück von Thomas Bernhard entsprungen sein, doch der kam später. Helmut Qualtinger hat den Monolog mit Carl Merz geschrieben; Qualtinger war es auch, der, mit Hut und Schnurrbärtchen erstmals im Jahr 1961 fürs österreichische Fernsehen in die Rolle des Opportunisten Karl schlüpfte. Nun sitzt Matthias Scheuring als Herr Karl auf der Bühne des Frankfurter Stalburg Theaters (eine Co-Produktion mit dem Dortmunder Theater im Depot), und man hat den Eindruck, dass es sich mit dem Stück ähnlich verhält wie mit einem Kochrezept: Wenn die Zutaten gut sind, kann nicht viel schief gehen.

Scheuring ist in Kiel geboren, hat aber unter anderem am Wiener Burgtheater gespielt. Den Dialekt beherrscht er leidlich, doch ist das nicht das Wichtigste. Entscheidend ist der Tonfall - ein unendlich langsamer, gemäßigter Vortrag ohne Ausbrüche, in dem sich Resignation und Gelassenheit zugleich niederschlagen.

In dieser Stimmlage redet er über alles: Über die Jugend, die früher, in einer anderen Zeit, wenigstens noch eine Jugend war und die nun vorbei ist, jedenfalls bei ihm. Über die 20er Jahre und die Krise. Über seine Gelegenheitsjobs und die Arbeitslosigkeit. Über seine Existenz als Kommunist und Sozialist und Nationalsozialist, als Blockwart und Denunziant und darüber, dass der jüdische Nachbar, der überlebt hat, ihn später nicht hat grüßen wollen. Und über Hitler, der vielleicht ein Dämon war, dessen Größe man aber gespürt hat. Man kann nicht behaupten, dass der Qualtinger/Merz-Text ganz und gar unverstaubt daherkäme. Und auch nicht, dass die obligatorische Getränkepause der Dramaturgie des Abends gut täte.

Doch im Grunde blickt man eine konzentrierte Stunde lang auf diesen dicken Mann unter der Lampe, den man nicht unsympathisch finden kann. "Ich kann", sagt er, "zum ersten Mal in meinem Leben sagen: Mir geht´s gut." Dann ist ja alles gut.

http://www.fr-online.de