Die FR über NEUMANN NACH BERLIN.
Für die QDS nach Berlin
<i>Daniel Bartetzko, FrankfurterRundschau, Samstag, 1. Oktober 2005 </i>Noch mal Wahlkampf: Michael Herls neues Stück in der Stalburg.
Ein Mann will nach oben. Oben ist Berlin, der Ort der großen Politik. Und der Mann ist Jens Neumann, Spitzenkandidat der QDS. Ihr Programm ist so schlicht wie unmöglich: Sie will in Deutschland alles wieder gut machen. So gut wie früher, bevor das große Jammern einsetzte. Und Neumann will uns überzeugen, er braucht unsere Stimme, um in den Bundestag einzuziehen. Deshalb hält er auch in Frankfurt seine mehr oder minder umwerfenden Wahlkampfreden. Nun fragt sich so mancher, wer zum Teufel dieser Neumann ist und von der QDS haben bislang auch die Wenigsten gehört. Ist auch klar: die gibts gar nicht, hat sich alles Michael Herl ausgedacht.
Sein neues Stück "Neumann nach Berlin.", das nun im Stalburg Theater Premiere hatte, begleitet den fiktiven Kandidaten durch sechs Wochen harten Wahlkampf. Vier Reden hält der schneidige Enddreißiger, immer tischt er zumindest theoretisch dasselbe auf.
Beim ersten Mal erlebt man noch einen hölzern wirkenden Überzeugungstäter, der im Grunde recht vernünftige Dinge sagt. Zum Beispiel, dass Wachstum endlich ist; oder dass es doch eine schöneZeit war, als die Post noch allein dafür da war, Briefe und Pakete zu versenden. Hier ist jemand zu ehrlich und holprig, der Mann braucht spürbar Hilfe.
Der fleißige PR-Berater
Als er zum zweiten Mal in Frankfurt spricht, klingt die vom PR-Berater überarbeitete Rede schon anders. Und der arme Neumann, der beim Lesen tausend Tode stirbt, sagt uns plötzlich bei gleichgebliebener Argumentationskette, dass Wachstum nicht endlich ist. Und dass es die Post richtig gemacht hat, als sie auf die neuenwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anforderungen reagierte und ihr Angebot erweiterte. Fazit: Schluss mit der Jammerei, Anpacken! Wenn bloß dieser zaudernde Typ nicht wäre, dem man das nicht recht abnehmen mag. Dazu einer solch kämpferischen Rede auch ein überzeugender Auftritt gehört, bekommt der Kandidat einen Personal-Coach beiseite gestellt.
Beim dritten Auftritt ist der Zauderer zum Zauberer geworden. Forsch peitscht er seine Sätze ins Publikum. Der Humbug bleibt der gleiche, die Wirkung ist diesmal jedoch phänomenal. Es ist glasklar: dieser Mann will Deutschland verändern! Glaubt man, bis man ihn bei seiner letzten, lustlosen Rede erlebt, am Tag vor der Wahl. Neumann, ausgebrannt und desillusioniert, wählt am Ende selbst - seine Freiheit. Er tritt nicht an und sucht seine Zukunft in der Rüsselsheimer Gastronomie. Das letzte Bild ist ein brennendes Parteibuch.
Ist das eigentlich noch eine Satire?
Michael Herl hat mit diesem Einpersonenstück eine wunderbare Satire übers Politgeschäft geschrieben. Ilja Kamphues gibt als Jens Neumann eine brillante schauspielerische Leistung als Kandidat zwischen den wahlkämpferischen Mühlrädern ab. Und Manfred Roth hat es mit einer punktgenau durchdachten, zwischen Klamotte und Kunstwerk schwebenden Regiearbeit liebevoll in Szene gesetzt.
Aber irgendwie hat man ein unbestimmtes Gefühl, dass hier weder eine Satire geboten wurde, noch, dass da jemand geschauspielert hat. Und erst recht nicht, dass ein Regisseur die Fäden zog. Die Realität hat die Kunst längst eingeholt, da muss man nur an die letzte Bundestagsrunde denken. Und wenn schon Neumann mit seiner QDS nicht mehr will, kann das reale Motto jetzt eigentlich nur noch heißen: "Herl nach Berlin".