Die FNP über RAPUNZEL-REPORT
Dornröschen verschläft den erlösenden Kuss
Marcus Hladek, Samstag, 9. Januar 1010Stefani Kunkel hatte am Frankfurter Stalburg-Theater Premiere mit ihrem vergnüglichen Solo-Abend über Märchen und Beziehungen: «Rapunzel-Report» unter der Regie von Alexandra Maxeiner.
Ach, wie hat sie sich verändert, Rapunzels Lebenslage. Jahre nach dem Märchenidyll, trotz Umzugs in eine Dreizimmerwohnung, kraxelt ihr Karlheinz noch immer am Blondzopf empor, was Rapunzel angesichts etlicher Kilos mehr an seiner Hüfte zu hessischen Schmähtiraden animiert.
Kein bisschen besser stehen Kunkels übrige Märchenheldinnen da: Wenn das Streicher-Idyll verklingt, der Lichtkitsch endet, die Märchenstimmen im Off verstummen, dann fangen sich der Langweiler von Froschkönig (Nenad Šmigoc auf Video) und seine Zicken-Prinzessin schon beim Frühstück an zu quälen. Aschenputtel redet sich das eheliche Schweigen zur Harmonie schön und hat einen neurotischen Putzfimmel entwickelt. Schneewittchen treibt es mit den Sieben Zwergen und geht auch ihrem Talkshow-Moderator Šmigoc an die Wäsche. Dornröschen quasselt prekariatsmäßig blödes Zeug und verschläft den erlösenden Kuss.
So die eine Hälfte des Geschehens auf der Bühne, der Herbert Huber in hellem Weiß einen Drehsessel mit Beistelltisch sowie Steh- und Liegewände hinzufügt. An drei realistischeren Figuren von Hier und Heute demonstrieren Kunkel und Maxeiner, wie viel Plackerei Beziehungen jenseits vom Märchen bedeuten können.
Erscheint die böse Schwiegermutter zum Leitmotiv des «Weißen Hais» noch als oller Schwiegerdrachen, so blickt das Märchengewebe bei der Vierzigerin, die, vom Ehemann verlassen, per Internet Männer sucht und «ausprobiert», um dann doch wieder beim alten Frosch zu landen, realistischer durch.
Die Mitte nimmt ein weiblicher Hausdrachen im Kittel ein, der beim Helfen mit den Kontaktbörsen selber auf den Geschmack kommt und sich so weit emanzipiert, bis sie zur Musik Michael Jacksons und zum johlenden Vergnügen des Publikums einen Moon Walk hinlegt. Was die Märchen-Reprise zwischen alter Weisheit und neuem Kunstmärchen («Shrek», «7 Zwerge»), psychotherapeutischer Märchendeutung und Satire durchaus verdient hat.