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Die FAZ über NEUMANN NACH BERLIN.

Den Gürtel weiter schnallen: Neue Satire von Michael Herl in der Frankfurter Stalburg

<i>Eva-Maria Magel, Samstag, 8. Oktober 2005</i>

Und hier ist er wieder, begleitet von bedeutungsschwangerer Musik: "Jeeeens Neumaaaaann!" Das erinnert nicht von ungefähr an den Moderator, der noch vor wenigen Wochen Angela Merkel wie einen Boxer der Mittelgewichtsklasse beim CDU-Parteitag angekündigt hatte. Michael Herls jüngste Satire "Neumann nach Berlin", die nun im Frankfurter Stalburg Theater uraufgeführt wurde, ist von der Realität eingeholt worden - fast. Zwar konnte Herl, als er sich ans Schreiben machte, nicht ahnen, daß aus seiner Vorwahlsatire zum Beginn der Theatersaison plötzlich eine Nachwahlparodie werden würde. Und schon gar nicht, daß sein Jens Neumann (Ilja Kamphues) aus Rüsselsheim, Spitzenkandidat der QDS, mit seinem farblosen Haar, seinem farblosen Anzug und seiner geschmacklosen Krawatte zwischen all den Kandidatenkonterfeis an Plakatwänden gar nicht mehr auffallen würde.

Aber den Politikern hat Herl ausreichend aufs Maul geschaut, sodaß dieser Jens Neumann, der als persönliches Motto auf generös verteilten Autogrammkarten "Alsweiter" angibt, eine sehr gelungene Parodie geworden ist. Und seine Volten und Meinungsumschwünge, wenn auch satirisch überspitzt, ähneln jenen der echten Politikerdarsteller so sehr, daß man doch vermuten darf, Herl habe nicht nur die pompöse Ankündigung seines Kandidaten erst kürzlich in das Manuskript gefügt. Daß man der in vier Akten inszenierten Wahlrede zwischenzeitlich etwas überdrüssig wird, dürfte ebenfalls daran liegen, daß die echten Reden noch allzugut im Ohr klingen. Herl hat genau hingehört.

Die Zuhörer erkennen einiges wieder, was an Sprachmüll aus dem Mund des Kandidaten quillt, der der Regierung endlich zeigen will, wo der Barthel den Most holt, wenn nun endlich - der Gürtel weiter geschnallt werden muß. Richtig, weiter: Die politischen Konzepte, die Herl seinem Kandidaten in den Mund legt, weichen dann doch etwas abvon dem, was in den vergangenen Wochen zu hören war - zumindest anfangs. "Wachstum ist out!" ruft Neumann da und empfiehlt der Bundesrepublik, "beim Kerngeschäft zu bleiben". Nichts könne schließlich immer wachsen.

Die neuen Töne aber ändern sich schnell: Wir erleben den Kandidaten Neumann mit seiner Rede viermal, in vierzehntägigen Abständen, bis einen Tag vor der Wahl. Man darf sich denken, wie hinter den Kulissen Berater den jungen Herrn bearbeiteten - bis das ganze Gegenteil von dem behauptet wird, was zu Beginn zu hören war. Den Wechsel vom Schnösel zum Nervenbündel zeigt der junge Kabarettist Ilja Kamphues ebenso überzeugend wie seinerzeit den Dr.Kögel in Herls Speisesatire "Werkocht, schießt nicht", die mittlerweile rund 17 000 Zuschauer gesehen haben. Nach Kabarettistenart überspitzt er, brüllt und posiert, schwitzt und scheitert an den Tücken der Objekte, wobei er sich doch alsg ewiefter Zauberkünstler mit Seil-und Geldscheintricks erweist.

Mag diese Parallele der Gaukler und der Politiker auch ein wenig platt sein - wirken tut sie doch in Herls Satire, deren geschickte Konstruktion sich auch darin zeigt, daß das Publikum schnell die Rolle der Parteiclaqueure übernimmt, die begeistert "Neumann, Neumann!" skandieren. Vor allem, wenn es dem Kandidaten zuguterletzt überhaupt nicht mehr gelingen will, die Floskeln seiner zum x-ten Mal heruntergenudelten Rede zu bändigen. Der letzte Inhalt geht im baren, herzerfrischenden Nonsens baden. Das Ende ist so recht nach dem Wunsch des guten Menschen: Neumann besinnt sich selbst auf sein Kerngeschäft, die Gaststätte seines Vaters in Rüsselsheim. Gutbürgerliche Küche ist besser als Politik - das ist der einfache, aber würdige Abschluß eines außerordentlich erheiternden Abends. Schließlich wissen alle, daß draußen die Platitüden weitertosen.