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Die FR über "Herzscheiße"

Tristesse der Provinz und Hartz-IV-Krallen

Felix Ehring, Montag, 12. Oktober 2009

Dass Tanja Schmidt es bis nach China schafft in ihrem Leben, hätte sie wohl selbst nicht gedacht. Nach einer gescheiterten Beziehung zu einem gewissen Lee, der Schimpansenhoden isst und auch sexuell nicht mit Tanja harmonierte, steht sie an einem deutschen Flughafen und überlegt, wie es mit ihr weitergehen soll. Aus ihrem schaurig-tristen Leben in der deutschen Provinz berichtet sie und schwankt zwischen Resignation und Euphorie, zwei Launen, die sich aus der überzeichnet-naiven Figur ergeben. Im frisch renovierten und weiterhin sehr gemütlichen Stalburg Theater hatte am Freitag das neue Stück von Michael Herl Premiere: "Herzscheiße".

Der Titel des Stücks stammt ebenso vom Liedermacher Funny van Dannen wie die 21 zum Teil leicht veränderten Lieder, die in anderthalb Stunden Spiel- und Singzeit zu hören sind. Ein Teil der Titel kommt vom Band, den Rest singt Tanja Schmidt (Jule Richter) gefällig zu seichtem Gitarrenspiel. In den musikalischen Pausen erfährt man von ihr, wie das Leben zwischen Bielefeld und Paderborn sein kann, wie es ist, mit einem nahezu verstummten Mann in einer ehemaligen Tankstelle zu wohnen und dennoch ganz zufrieden zu sein zwischen Nagelstudio und Tulip-Dosenfleisch. Sie hat die Diskothek "Eden" an der Lippstädter Landstraße besucht und sich auf dem Schützenfest in Rheda-Wiedenbrück amüsiert. Es wird deutlich, dass Herl ein Faible für öde Orte hat, die beim Zuschauer eine Mischung aus Spott und kaltem Grausen auslösen.

Herl und van Dannen sind Anhänger jenes Humors, der auch von Kurt Krömer oder anderen deutschen Liedermachern wie Fred Timm bekannt ist: Nichts ist exotischer als die Heimat und nichts witziger als die Realität, wenn man sie nur aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet. Das Bösartige lauert im trivialen Alltag: Wer trinkt denn Mischgetränke wie Red Bull mit Wodka, und wer geht ins Nagelstudio? "Hartz- IV-Krallen" nennt Herl das, was man dort bekommt.

"Herzscheiße" bietet also einige herrlich-gemeine Zoten und andere Pointen, die Rahmenhandlung bleibt jedoch eher eintönig. Was wäre von Tanja Schmidt auch anderes zu erwarten? Deshalb sorgt vor allem der Aberwitz in den Texten van Dannens für die Höhepunkte. Der singt über Ohren-Bücher und Okapi-Poster, und trotz der abseitigen Themen führt sein Gitarrenspiel und der melancholische Gesang dazu, dass man konzentriert zuhört und etwas mitschwelgt - bis einen die nächste Absurdität wieder herausreißt.