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Die FAZ über "Gut gegen Nordwind"

Virtuelle Liebe innen und außen

Claudia Schülke, Mittwoch, 25. Februar 2015

Die beiden ergänzen sich fabelhaft: Sie ist seine Innenwelt, er ihre Außenwelt. Im virtuellen Kosmos begegnen sie sich. Ein einziger Buchstabe, und schon war die Falschmail von Emmi Rothner bei Leo Leike angekommen. Der Kommunikationsberater für Sprachpsychologie, der E-Mails als Transportmittel für Emotionen bewertet, fühlt sich nach höflichem Mailaustausch in eine Beziehung verstrickt, die er gar nicht wollte. Oder? Seine Ex hat ihn sitzenlassen, jetzt lässt Emmi ihn nicht mehr los. Die Ehefrau und zweifache Stiefmutter fühlt sich nämlich auch einsam in ihrer Familienfestung. Eine E-Mail-Beziehung bahnt sich an - passend für Leo, der sich dem Beziehungsalltag nicht gewachsen fühlt. Aber wird sie einer Begegnung in Fleisch und Blut standhalten?

Mit seinem Zweipersonenstück "Gut gegen Nordwind" hat Daniel Glattauer schon landauf, landab die Bühnen beglückt. Jetzt hat Lutz Keßler das virtuelle Liebesgeflüster auch im Stalburg Theater inszeniert: als zunächst witzigen Schlagabtausch, der im Laufe des zweistündigen Abends mehr und mehr in emotionale Abgründe vorstößt. Getrennt durch eine Garderobe, von der sie sich immer wieder bedienen, bespielen Jenny Ellen Riemann und Uwe Gerritz jeweils eine Bühnenseite. Er hantiert mit dem Notebook, lümmelt auf seinem Bett oder packt wiederholt seinen kanariengelben Koffer, um sich auf Dienstreise zu verflüchtigen. Sie starrt auf ihren PC, posiert auf dem Bett oder greift in die Tasten eines Klaviers, um sehnsuchtsvoll-traurige Liebeslieder anzustimmen.

Die gelangweilte Gattin und der scheue Kommunikationsexperte können nicht mehr ohne einander. Doch Leo hat solche Angst vor einem Treffen, dass er Emmi im Café den Rücken zukehrt und sie durch die Augen seiner Schwester begutachten lässt. Gerritz vereint in seiner Figur trockenen Witz mit kluger Weitsicht und Selbstironie. Riemann wechselt zwischen emotionaler Hingabe und Wutausbrüchen. Hin- und hergerissen zwischen einem verständnisvollen Ehemann und einem potentiellen Liebhaber weiß ihre Emmi sich nicht zu helfen. Sie ist zwar emanzipiert, aber nicht resolut. Am Ende entscheidet wieder ein einziger Buchstabe über die Zukunft von virtueller Verliebtheit und reeller Liebe.

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